Skyrim im Mittelalterstil? Die Erwartungen waren hoch, und Kingdom Come: Deliverance erfüllt sie, zumindest an manchen Stellen. Wir haben den Titel ausgiebig getestet und legen mit gemischten Gefühlen das Pad nieder.
Wie bei vielen Spielen mit Hype gibt es ein böses Erwachen, auch Kingdom Come Deliverance ist keine Ausnahme. Die Versprechungen eines „echten“ RPG im Mittelalter, ohne Fantasy-Elemente, brachialem Realismus und Massenschlachten liegen noch in den Ohren. Doch selbst ohne diese Erwartungshaltung, ist der Titel ein Spezialfall, der viele am Kopf kratzen lässt. Wir haben die Version 1.25 für die PS4 getestet und sind somit schon in den Genuss vieler Gigabyte an Patches gekommen. Entsprechend werden wir auch das Spiel in diesem Zustand bewerten und nicht auf die Macken davor eingehen.
Angesiedelt im Böhmen des Mittelalter spielen wir Heinrich, Sohn des Kalitzer Schmiedes. Kaum mit der Steuerung vertraut, wird das Dorf überfallen; wir brauchen Motivation, um die Story voranzutreiben, also müssen die Eltern sterben. Der Lehnsherr Radzig nimmt uns daraufhin auf, gibt uns ein Zuhause und Aufträge, damit wir am Ende unsere wohlverdiente Rache ausüben können.
Das (R)PG im Mittelalter
Die Story selbst ist nicht besonders spektakulär, liefert aber durchaus interessante Momente. Besonders die vielen historischen Informationen und das Mittelaltersetting sind durchaus gelungen. Die Wendungen sind aber recht vorhersehbar und packen emotional nicht wirklich. Die Rollenspielelemente kommen auch nur minimal durch und nehmen letztlich keinerlei signifikanten Einfluss auf die Hauptstory. Selbiges gilt für die Nebenquests – welche weitgehend spaßig und abwechslungsreich sind – und Zufallsbegegnungen – die leider nicht immer richtig funktionieren. Der Rollenspielaspekt ist an einer bitter kurzen Leine gehalten. Dabei ist die deutsche Synchro an sich gar nicht übel, doch öfters sackt die Lautstärke der Dialoge komplett ab, sie werden auf englisch (oder gar nicht) gesprochen und die dazugehörigen Figurenbewegungen sind gerne mal recht fehlplatziert; das kommt davon, wenn man eine handvoll Animationen schablonenartig auf Dialoge draufklatscht.
Die Grafik an sich haut nicht aus den Socken, sie ist recht hübsch und erfüllt ihren Zweck in einem großen, Open World Spiel. Diverse Grafikfehler und Macken gibt es auch, aber nichts, was das Spiel zum abstürzen gebracht hätte. Leider haben Titel wie The Witcher 3 die Messlatte verdammt hoch angesetzt, weshalb das Lob sich in Grenzen hält.
Hartverdienter Spielspaß
Genug von der Verpackung, wie spielt sich der Titel? Und hier kommen wir in eine fiese Zwickmühle, die mit einer Metapher erklärt ist. Andere Spiele sind moderne, geschmeidige Spielzeuge, einfach in der Handhabung und ihrer Komplexität. Kingdom Come Deliverance ist ein massives Holzspielzeug, mit Ecken und Kanten, an denen ihr euch gerne mal weh tut, doch macht das Spielen trotzdem irgendwie Spaß und gibt eine besondere Art er Befriedigung. Über die klobigen Bewegungen, dem teils holprigen Kampfsystem, die vielen zeitraubenden Spielelementen und die anstrengenden Mechaniken, ist Kingdom Come Deliverance irgendwo zwischen „spielerunfreundlich“ und „spaßig“.
Der gepriesene Realismus ist eben ein zweischneidiges Schwert: Schmutzige Kleidung, die sich auf euren Gesprächserfolg auswirkt, Schlaf, Sättigung, Haltbarkeit von Objekten und Lebensmittel klingen zwar sehr aufregend, machen aber nicht alle glücklich. Diese Spielmechaniken sind schlicht Selbsterhaltung, damit ihr ohne negative Effekte das Spiel normal spielen könnt; sie fressen Zeit und ihnen nachzugehen war nicht wirklich spaßig umgesetzt. Kräuter einsammeln ist ein Graus, da bei jeder (!) Pflanze eine 2 Sekündige Animationssequenz abgespielt wird. „Schnellreisen“ und „Warten“ ist ebenfalls ein Zeitfresser, welche die ohnehin langen Ladezeiten noch anstrengender machen.
Schlösserknacken, Bogenschießen und Alchemie sind derart gewöhnungsbedürftig und unlustig, dass wir sie die ersten Stunden komplett gemieden haben. Den krönenden Abschluss macht ein foltergleiches Speichersystem: Gespeichert wird in unregelmäßigen Zeitabständen vom Spiel selber, wenn ihr spezifische Quests annehmt, oder euch Schlafen legt. Schnellspeichern geht nur, wenn ihr den sogenannten „Retterschnaps“ verwendet, welcher am Anfang des Spiel eine mächtige Summe kostet. Das ihr so dann mal bei einem unglücklichen Tod ein oder zwei Stunden Spielzeit verliert, wird euch öfters passieren. Merkwürdig auch: Bei den ganzen Nebenskills wie Alchemie, Taschendiebstahl oder Lesen, kam es Niemandem in den Sinn, dem Sohn des Schmiedes die Fähigkeit zu geben, eigene Waffen zu schmieden? Hurr Durr Durr, wir schleifen und reparieren die Ausrüstung halt lieber. Warum also, haben wir uns das Spiel dennoch mehr als 25 Stunden angetan?
Mühsam ernährt sich das Level 1 – Eichhörnchen
Sadistische Tendenzen sind ohnehin gegeben, und Kingdom Come Deliverance hat aufgrund seiner miesen Härte an die alte Gothic-Zeit erinnert. Jeder Erfolg den wir trotz aller Umstände verbuchen konnten, hat sich umso besser angefühlt. Das Level-Up-System ist da besonders angenehm: Benutzt einfach die entsprechende Fertigkeit und sie wird aufgewertet und erhaltet Skill Points für weitere Perks. Heinrich kann so zu einem alleskönnenden Halbgott werden. Ein (neuer) Trank ermöglicht euch dabei, die Punkte neu zu setzen.
Und Erfolge im Kampf sind die Schönsten, leider deswegen, weil der Kampf zu Beginn eine wahre Tortur ist. Ihr schlagt von 5 Seiten zu und könnt mit der Waffe stechen. Kombos brauchen richtiges Timing und die richtige Schlagabfolge. Da ihr euch zunächst nur mit schickeren Lumpen und einem gefühlten Ast prügelt, kriegt ihr erstmal gehörig eins auf den Deckel von den meisten Gegnern. Die sperrige Handhabung macht vor allem Kämpfe in Unterzahl zu einem Alptraum, aus dem es scheinbar kein erwachen gibt. Aber mit jedem erschlagenen Gegner, jedem besseren Rüstungsteil, jedem Level Up eurer Fertigkeiten gewinnt ihr mehr und mehr die Oberhand.
Waren anfangs zwei Bauerntölpel eine kaum lösbare Mammutaufgabe, bringen euch später 4-5 voll ausgerüstete Söldner höchstens zum Schmunzeln. Leider liegt hier aber ein deftiges Problem: Nach genügend Spielzeit, habt ihr keine Herausforderung im Kampf mehr. Schwierigkeitsstufen gibt es nicht und euer Schwertarm mäht bei ordentlicher Ausrüstung gottgleich alles nieder. Die versprochenen Massenkämpfe entpuppen sich dabei als lediglich größeres Gemenge, und bleiben weit hinter den Versprechungen zurück. Andere Waffen stehen zwar auch zur Verfügung, doch ist nur wirklich das Schwert in den Fokus des Skilltree gerückt, und das gilt doppelt für den Bogen.
Die große Spielwelt wird leider auch eher zügig recht unattraktiv. Grund ist, dass sie weitgehend leer ist. Hier und da mal ein paar Gegner, ein Reh oder Hase zum Jagen, Pflanzen zum Pflücken oder kleine Dörfer zu entdecken. Ihr findet schlicht zu wenig, als dass es spannend wäre, die Spielwelt auf eigene Faust zu erkunden. Diese Erkundung wird richtig bitter, wenn euch meterhohe Gebüsche komplett den Weg versperren, ihr einen Fluss nicht überqueren könnt (weil Schwimmen im Mittelalter scheinbar noch seltener war, als die Lesekunst Hurr Durr Durr) oder das Terrain die Bewegungen eurer Figur einfach zum Stocken bringt.
Auf dem PC sind viele dieser Macken mit inoffiziellen Mods und Patches gelöst, wodurch der Spielspaß massiv steigen kann. Vor allem die Modderszene wird ihren Spaß mit Kingdom Come haben, doch Konsolenbesitzer schauen hier in die Röhre. Wer sich das Spiel also für die PS4 oder Xbox One holen will, sollte sich das wirklich, wirklich gut überlegen.
[wptouch target=“mobile“]Die Wertung kann nur auf einem PC oder Tablet gelesen werden.
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Fazit:
Kingdom Come Deliverance ist ein interessanter Titel, an dem aber noch einige Zeit geschliffen werden muss. Zu viele Spielelemente rauben einem den Spielspaß und vor allem unnötig Zeit. Die derbe Handhabung und der Realismus schrecken zunächst ab, doch mit etwas Übung und zunehmenden Fortschritt steigt man hinter die anfänglichen Probleme und kann das Spiel mit seinem tollen Levelsystem wirklich genießen. Leider liegt es am Ende hinter den Erwartungen zurück, der Rollenspielaspekt ist kaum bemerkbar und die Welt ist viel zu leer für ihre Größe. Trotz großer Patches ist das Spiel noch von einigen Macken geplagt, läuft aber stabil und ruckelfrei. Konsolenspieler sollten sich einen jetzigen Kauf zweimal überlegen, da viele seiner Problemchen sich am PC einfacher lösen lassen und auch die Modderszene sich der leeren Welt liebevoll annehmen wird. Wer seine Titel etwas härter mag und gerne etwas Zeit investiert, wird viele Stunden beschäftigt sein, doch muss er noch mit einem bittersüßen Kompromiss aus Spiel und Spaß rechnen.
[rating itemreviewed=“Kingdom Come: Deliverance“ rating=“70″ reviewer=“Martin Federlein“ dtreviewed=“05.03.2018″ best=“100″ worst=“0″]
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