Das Studio Obsidian Entertainment brachte 2015 das Rollenspiel „Pillars of Eternity“ auf den Markt. Dieses klassische isometrische Rollenspiel im Stil der Baldurs Gate-Reihe überzeugte nicht nur Spieler sondern auch Kritiker. Über vier Jahre und etliche Portierungen später, erscheint „Pillars of Eternity: Complete Edition“ am 08. August für die Nintendo Switch. Ist ein klassisches Rollenspiel heute noch zeitgemäß und kann es auf der portablen Konsole überzeugen?
Ein Studio kurz vor dem Aus
Wie wir alle wissen, kann die Entwicklung eines Spiels sehr teuer sein und viele Risiken beinhalten. Das Studio Obsidian Entertainment wollte ein klassisches Rollenspiel im Stile von Baldurs Gate oder Planescape: Torment entwickeln. Man machte sich auf die Suche nach einem Publisher, um die Finanzierung des Projektes sicherstellen zu können. Die Publisher waren der Ansicht, dass klassische Rollenspiele tot seien und aus diesem Grund wollte keiner das notwendige Kleingeld bereitstellen. Das Dilemma an der Sache- würde das Studio nicht bald eine Finanzspritze erhalten, müsste man Konkurs melden und die Tore schließen. Schließlich entschlossen sich die Verantwortlichen eine Kampagne auf Kickstarter zu starten und das Projekt der Öffentlichkeit vorzustellen. Womit keiner gerechnet hatte war, dass Pillars of Eternity (damals noch Projekt Eternity) so viel Anklang und Unterstützer fand. Innerhalb des vorgesehenen Finanzierungszeitraums erhielt Obsidian Entertainment rund vier Millionen US-Dollar von über 77.000 Unterstützer. Zur damaligen Zeit war es eine unglaubliche Summe und das höchste über Kickstarter finanzierte Spielesoftwareprojekt. Die Finanzierung war gesichert, die Entwicklung konnte beginnen und was viel wichtiger war, Obsidian Entertainment musste nicht schließen.
Die Qual der Wahl
Bevor wir uns in das Abenteuer stürzen dürfen, müssen wir zuerst die Schwierigkeitsstufe auswählen. Ich habe mich für den leichten Modus entschieden, da ich mich mehr auf die Story konzentrieren, aber dennoch eine gewisse Herausforderung bei den Kämpfen haben möchte. Wer über mehr Erfahrung in klassischen Rollenspielen verfügt, der kann natürlich einen höheren Schwierigkeitsgrad anstreben. Möchtet ihr hingegen den Fokus nur auf die Geschichte legen und keine Gedanken an die Kämpfe verschwenden, dann könnt ihr den komfortablen Storymodus auswählen (die leichteste aller Stufen). Nun müssen wir uns für ein Volk und eine Klasse entscheiden. Neben Zwerge, Elfen sowie Menschen, gibt es noch die Orlaner, Aumaua und Gottähhnliche. Von allen verfügbaren Völkern hat mich der Mond-Gottgleiche, in Kombination mit der Krieger-Klasse, am meisten angelächelt.
Die Gottähnlichen sind Kinder der Gestandenen, eine zivilisierte Rasse mit besonderen körperlichen Aspekten, welche mit Göttern gleichgestellt werden. Aufgrund der ungewöhnlichen Natur dieses Volkes und ihrer Unfähigkeit sich reproduzieren zu können, werden die Gottähnlichen mit Furcht sowie mit Bewunderung betrachtet. Des Weiteren werden von allen Gottähnlichen die Mond-Gottgleichen, trotz ihres mondähnliches Gewächs auf ihrer Stirn, am meisten toleriert. Diese Rasse hat nebenbei einen ganz netten Bonus, welcher sich auf der Reise als ziemlich nützlich herausstellen könnte. Wird die Ausdauer eines Mond-Gottgleichen in einem Kampf unter 75%, 50% oder 25% reduziert, erzeugt dieser Wellen aus heilendem Mondlicht, welche die Gesundheit von ihm und seinen Verbündeten langsam wiederherstellt.
Die Klasse „Krieger“ ist im Umgang mit einem weiten Waffenspektrum geübt und kämpft stets an vorderster Front. Was alle Kämpfer vereint, ist der besondere Fokus auf Ausdauer und Nahkampfverteidigung. Sie mögen vielleicht nicht so beweglich wie Mönche oder gar tödlich wie Diebe sein, aber sie sind die verlässlichste Klasse, wenn es darum geht Feindmassen standzuhalten. Die zusätzlichen Fähigkeiten dienen nicht nur dem Schutz, sondern ebenfalls der Schwächung ihrer Feinde. Wie ihr sehen könnt, müssen viele Aspekte (zum Beispiel der eigene Spielstil) bei der Charaktererstellung berücksichtigt werden.
Ein unerwartetes Schicksal
Unser Abenteuer in Pillars of Eternity: Complete Edition beginnt recht unspektakulär ohne Zwischensequenzen. Wir sind mit einer Karawane auf dem Weg zum nächstgelegenen Dorf. Bedauerlicherweise erkranken wir und der Karawanenführer schickt einen Mann los, um für uns ein Heilkraut ausfindig zu machen. Um nicht untätig herumstehen zu müssen, sollten wir für uns selbst Wasser sammeln, damit wir die Nacht auch ja überleben. Dieses kleine Gebiet nutzen die Entwickler als Tutorial, um uns mit der Grundmechanik und der Steuerung vertraut zu machen. Haben wir erfolgreich das Wasser eingesammelt, treffen wir im Basislager auf Räuber welche die wartenden Reisenden als Geiseln nutzen. Leider kommt es zu einem blutigen Kampf und alle außer uns sterben.
Plötzlich zieht ein merkwürdiger Sturm auf und wir retten uns noch rechtzeitig in eine nahegelegene Höhle. Auf der anderen Seite werden wir Zeuge eines Rituals, welches das Bewusstsein unseres Helden verändert. Mit unserer neuen erworbenen Fähigkeit können wir die Geister von Lebenden und gerade Verstorbenen erkunden. In „Eora“, so der Name der mittelalterlichen Fantasy-Welt, gibt es Beseeler, die sich mit der Erforschung der Seele befassen, damit experimentieren und scheinbar den Zorn der Götter heraufbeschworen haben. Zu Beginn unseres Abenteuers erfahren wir, dass die Seelen nicht mehr dauerhaft an ihre Körper gebunden sind. Statt in Säuglingen, landen sie in Gegenständen, in bereits totem Fleisch oder gänzlich woanders. Die Bevölkerung ist der Verzweiflung nahe und eine abscheuliche Hetzjagd beginnt, welche wir mithilfe unserer neuen Fähigkeit beenden müssen.
Viele Wege führen zum Ziel
Womöglich kennt ihr das unbefriedigende Gefühl, wenn ihr eine Quest erledigen müsst, euch aber nur ein Weg zur Verfügung steht? Viele Entwickler werben mit der Möglichkeit, die Aufgaben in ihren Spielen auf vielfältige Weise lösen zu können. Hin und wieder wird das Versprechen eingehalten. Das Studio hinter Pillars of Eternity: Complete Edition zeigt uns, wie es richtig gemacht wird. Unser Held ist nicht stumm, sondern kommuniziert dank vieler Textbildschirme mit den NPCs. Die Bildschirme beschreiben allerlei Situationen und geben uns etliche Antwortmöglichkeiten, ähnlich einem Spielleiter in Pen & Paper Rollenspielen. Eine sehr gute Lösung, um dem Spiel einen noch stärkeren Rollenspielcharakter zu verleihen, schwer darstellbare Situationen zu beschreiben und uns noch tiefer in die Welt eintauchen zu lassen. Questmarkierungen und leuchtende Questgeber suchen wir vergebens. Wie in einem klassischen Rollenspiel üblich, müssen wir NPCs ansprechen um Aufgaben zu erhalten und im Questbuch nach Hinweise suchen.
Am besten an Pillars of Eternity: Complete Edition gefallen mir die Charakterentscheidungen und die vielen Lösungswege. Ein Beispiel gefällig? Wir sehen wie ein Müller von einer Gruppe wütender Menschen bedroht wird. Diese wollen mehr Weizen vom Betreiber der Windmühle erhalten und drohen ihm Gewalt an. Der Müller bittet uns sich der Situation anzunehmen und das Problem zu beseitigen. Wir möchten nur ungern Gewalt anwenden, da schon genügend Menschen aus dem Dorf gestorben sind. Angeblich wird das Weizen absichtlich zurückgehalten, um es anderswo für mehr Geld zu verkaufen. Wir sprechen erneut mit dem Müller und finden heraus, dass dieser den restlichen Weizen für Dorfbewohner zurückhält, welche es dringender benötigen. Er bittet uns um noch ein paar zusätzliche Tage auszuhandeln, da demnächst eine Weizenlieferung kommen sollte. Wir treffen uns mit der anderen Partei und laden diese auf ein köstliches Met ein. Diese verstehen letztendlich die Situation des Betreibers und gewähren ihm den gewünschten Aufschub. Die Konsequenzen gibt es nicht immer sofort und da ebenfalls die Äußerungen den Ruf des Helden beeinflussen, gibt es eigentlich auch keine unbedeutenden Entscheidungen. Wir werden somit erst im Laufe des Spieles sehen, wie sich diese Situation entwickeln und auf unseren Charakter auswirken wird.
Ein Held kommt selten allein
In Aora muss sich unser Held glücklicherweise nicht alleine mit Bestien und Feinden herumschlagen. Schon recht früh im Spiel treffen wir auf weitere interessante Charaktere, welche sich unserer Gruppe anschließen können. Jeder einzelne Begleiter hat eine individuelle Nebengeschichte, die sich mit fortschreitendem Spielstand entfaltet. Gelegentlich mischen sich auch die Gruppenmitglieder in Unterhaltungen ein und drücken ihre Unzufriedenheit bei einigen unserer Entscheidungen aus. Selbstverständlich können wir zusätzliche Begleiter in Tavernen anheuern, sollten wir vermehrt Hilfe benötigen. Gemeinsam stürzen wir uns als ein Team in Kämpfe die in Echtzeit ablaufen, aber jederzeit pausiert werden können. Die willkommenen Pausen erlauben es uns Befehle neu zuzuordnen sowie neue Taktiken auszuprobieren. Zusätzlich dürfen wir die Spielgeschwindigkeit jederzeit auf die Hälfte verlangsamen oder auf das Doppelte beschleunigen. Das Kampf- sowie das Aufstiegssystem sind gut gelungen und stets motivierend, doch leider gibt es einige Probleme mit dem Pathfinding. Immer wieder kommt es vor, dass unsere Nahkämpfer auf dem Weg zum Feind durch die eigenen Fernkämpfer blockiert werden. Diese Kleinigkeit kann bedauerlicherweise zum wegsterben unserer gesamten Truppe führen. Sobald man jedoch den richtigen Dreh raus hat, ist auch das Pathfinding kein allzu großes Problem mehr.
Die technische Umsetzung
Pillars of Eternity für die Nintendo Switch beinhaltet neben dem Hauptspiel, auch alle Patches / Updates und die beiden Erweiterungen „The White March: Part I & II“. Die beiden Erweiterungen fügen sich nahtlos in das Hauptspiel ein, zeigen dennoch geringe Schwächen in der Story. Trotzdem sind genügend zusätzliche Quests und Gebiete für all jene enthalten, die nicht genug vom Hauptspiel bekommen konnten. Die Grafikqualität ist nicht mehr die aktuellste, verfügt aber dank der Entwickler sehr viel Liebe zum Detail. Dies zeigt sich deutlich bei den etlichen Landschaftsgrafiken, welche nie doppelt verwendet werden und alle ein Unikat sind. Das Spiel läuft auf der Nintendo Switch größtenteils flüssig, die Steuerung ist präzise und der hervorragende Soundtrack untermalt gekonnt das Geschehen auf dem Bildschirm. Neben dem fehlerhaften Pathfinding sind mir leider noch einige Schwächen aufgefallen. Die Ladezeiten sind im späteren Spielverlauf etwas zu lang geraten, die Texte haben ein paar Rechtschreibfehler und das Spiel stürzt gelegentlich im Ladebildschirm ab. Es sind zwar keine Game-Braking-Bugs, aber zukünftige Patches sollten nicht lange auf sich warten lassen, da diese Fehler das Spielerlebnis leicht trüben. Nichtsdestotrotz ist Pillars of Eternity: Complete Edition ein hervorragendes klassisches Rollenspiel und für mich, eines der besten seit Jahren.