Terror Billy ist zurück und will dem Regime wieder mächtig einheizen! Euer typisches Shooterspiel ist Wolfenstein 2: The New Colossus aber nicht, und sein derber Humor ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Captain William Joseph Blazkowicz ist zurück! Nach seinem letzten Einsatz in Wolfenstein The New Order ist Terror Billy dezent angeknackst, trotzdem fährt der alte Mann immer noch liebend gerne seine beiden Dampfhammer in Regimegesichter aus. Wir haben uns die deutsche Version von Wolfenstein 2: The New Colossus genauer angeschaut und waren an vielen Fronten überrascht.
Zwischen Flachwitzen und Patriotismus
Auch ohne Vorwissen zum Prequel liefert der Titel eine schöne Einleitung für Quereinsteiger. In einer alternativen Zeitlinie haben die Nazis den Krieg gewonnen und Amerika kapituliert. Blazkowicz hat seinen Nemesis General Totenkopf besiegt, doch einen hohen Preis dafür gezahlt. Körperlich am Ende ist ihm sein naher Tod bewusst, also gibt er noch einmal alles, um den Widerstand zu mobilisieren und eine Revolution zu beginnen. Dabei könnt ihr auch auswählen, ob ihr Wyatt oder Ferguson aus dem Vorgänger rettet, um kleinere Anpassungen an euren Spieldurchlauf zu genießen.
Die Motivation ist klar und das Setting spannend. Zusätzliche Dialoge von NPC’s sind dabei eine schöne Ergänzung, um tiefer in die Spielwelt einzutauchen. Mehr Passagen, welche den Einfluss des Regimes (z.B. im Alltagsleben der Bürger) thematisieren, wären schön gewesen. Dabei möchte Wolfenstein 2 auch emotionale Nähe zu unserem Protagonisten aufbauen, beispielsweise durch emotionale Dialoge und Sequenzen. Auch der Kampf um die Freiheit wird gerne mal dramatisch angesprochen, doch den gewünschten Effekt hatte das am Ende bei uns leider nicht. Der Titel packt dafür zu gerne die selbstironische Keule aus der untersten Schublade für schlechte Witze, unbeholfene Dialoge und Klischees aus. Fanden wir deshalb die schwarze Frau mit Afro names Angela Cummings schlecht? Absolut nicht. Die lächerlichen, Over the Top-Elemente des Spiels waren doch die schönsten, aber diese Facette des Spiels beißt sich mit seinen ernsten Momenten, da sie oft kaum einen Satz auseinander liegen. Die teils stark asynchrone Vertonung und Lippensynchronisation, vereinzelte Grafikglitches sowie halbherzige Gesichtsanimationen haben dem Ganzen nur den Gnadenstoß gegeben.
Die Glaskanone schlägt zu
Aber wer Wolfenstein wegen seiner anspruchsvollen Storyelemente aufsucht, ist auch ernsthaft daran interessiert, warum hier Stroh liegt. Das Blei und gegnerische Körperteile müssen schwer in der Luft liegen. Und das kriegt der Titel richtig gut hin!
Ein überschaubares Arsenal an Waffen und eine handvoll Granaten sind die Farbe und der Pinsel eines Blazkowicz. Jede Waffe fühlt sich einzigartig an und gibt ein herrliches Feedback. Der sogenannte Akimbo-Modus verdoppelt den Spaß und lässt ihn zwei Waffen eurer Wahl gleichzeitig abfeuern. Wer es groß mag, darf sich über eine Reihe von tragbaren, schweren Waffen – wie Laserkanonen oder Gatlings – freuen, welche eure Gegner beeindruckend zerlegen. Ein klassischer Blazkowicz eben! Euren inneren Rambo dürft ihr aber nur behutsam ausleben lassen, denn die Gegner haben einen gefühlten Ozean an Zielwasser geschluckt.
Selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad ist Taktik und Vorsicht gefragt. Blazkowicz kann zwar ordentlich austeilen, aber er ist empfindlich wie eine Mimose. Eure Lebenspunkte und Rüstung schmelzen dahin, wenn ihr auch nur Sekunden nicht aufpasst und ein Gegner euch im Visier hat. Ein schlechtes Damagefeedback sorgt dafür, dass ihr oft ein überraschendes Game Over kriegt. Zum Glück sorgen schnelle Speicher- und Ladezeiten für weniger Frust bei alledem. Die organischen und mechanischen Gegner lassen sich zwar alle gleich besiegen, aber ihre Feuergewalt variiert und ihr lernt schnell, wem man besser nicht frontal die Stirn bietet.
Ein Beil für alle Fälle
In stillen Momenten verlässt sich Blazkowicz dann lieber auf die gute, alte Handarbeit mit der Axt. Stealth- und Nahkampfkills sehen zum sterben schön aus und alamieren die restliche Räuberbande nicht. Ein sogenannter Kommandant fordert nämlich konstant Verstärkung an, sobald ihr gesichtet wurdet. Erst, wenn der Rabauke einen Kopf kürzer ist, hören die Gegnerwellen auf.
Die Herausfordung war knackig, aber sie wird nicht jedem gefallen. Die ständigen Tode haben merklich den Spielfluss gestört und Momente, in denen ihr genüsslich die Gegnermassen mit dem actionreichen Soundtrack im Hintergrund niedermäht, sind selten (aber haben sich dadurch umso besser angefühlt). Ein manuelles Speichern hilft zwar auch kleine Erfolge zu sichern, jedoch wird der Titel so schnell zur Arbeit. Wer also sorglos Horden von Gegnern dezimieren will, sollte einen weiten Bogen um Wolfenstein 2 machen.
Je nachdem wie ihr spielt, schaltet ihr verschiedene „Vorteile“ frei, Bonuseigenschaften, welche euren jeweiligen Spielstil optimieren. Viele Stealthkills lassen euch schneller kriechen, Viele Abschüsse mit Akimbo erhöhen eure Munition usw. Dieses Level-Up-System hat viel Spaß gemacht, da es dazu anregt, sich nicht auf einen Spielstil zu versteifen. Zur Hälfte des Spiels gibt es eine zusätzliche Spezialisierung, um euren Spielstil noch weiter zu verbessern. Die Steuerung ist bei dem Ganzen angenehm flüssig und intuitiv, nur wenn ihr euch in Öffnungen fallen lassen wollt, bockt die Technik rum. Individuelle Einstellungen für die X- und Y-Achsen helfen zumindest auch mit dem Controller gut zu zielen.
Nazis auf der Venus
Gespielt wird in unterschiedlichen Sandbox-Leveln, welche toll aussehen, groß ausfallen und nur so von Collectibles sprudeln. Dank einer fantastisch genauen und übersichtlichen Map findet ihr sie auch mit wenig rumgesuche. Exploration ist nicht nur wegen den Collectibles (sowie den Medikits und Rüstungsteilen) eine gute Idee; Verbesserungskits für eure Waffen wollen gefunden werden, um bis zu drei Upgrades pro Waffe freizuschalten. Ein Schalldämpfer für die Pistole? Ein Zielfernrohr für das Sturmgewehr? Oder doch lieber doppelte Kapazität für die Schrotflinte? Ein unerwartetes Ende der Entdeckungstour gibt es nicht, denn euch wird immer klar signalisiert, wann das Level aufhört. Diese sind auch angenehm abwechslungsreich und führen euch mal in die Kanalisation, in enge Räume von zerstörten Städten bis hinauf zu einer Raumstation auf der Venus. Nebenmissionen gibt es auch, aber sind sie (wenn überhaupt) für den reinen Spielspaß da. Ein Schwein füttern für das gute Gewissen und Nazi-Generäle ausschalten für eine Extrarunde Spielspaß gehören dazu.
Nach 16 Stunden (und einem recht antiklimatischen Finalkampf) waren wir durch. Zwar gibt es kein New Game Plus, aber es blieben eine Reihe von Nebenmissionen und das Sammeln der Collectibles für den reinen Spielspaß. Eine ganze Palette von härteren Schwierigkeitsgraden haben uns auch noch hämisch angelächelt…
[wptouch target=“mobile“]Die Wertung kann nur auf einem PC oder Tablet gelesen werden.
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Fazit:
[rating itemreviewed=“Wolfenstein 2: The New Colossus“ rating=“79″ reviewer=“Martin“ dtreviewed=“28.10.2017″ best=“100″ worst=“0″]
Wolfenstein 2: The New Colossus ist ein herausfordernder Shooter, welcher zwischen Ernst und Selbstironie schwankt. Das Setting ist toll inszeniert, wenn auch mit verschenktem Potential was das Eintauchen in die Spielwelt angeht. Dafür sehen die bleilastigen Gefechte herrlich aus, sind musikalisch knallig unterlegt und spielen sich flüssig. Abwechslungsreiche Waffen, ein interessantes Vorteils-System und ein faires Speichersystem sorgen für soliden Spielspaß in den groß angelegten, vielfältigen Levels. Die schnelle Sterberate ist jedoch ungewöhnlich und haut einen oft aus dem Spielfluss. Das taktische Vorgehen hat zwar auch Spaß gemacht, aber hier müssen die Erwartungshaltungen klar sein, sonst bereut man den Kauf von Wolfenstein 2 nach wenigen Stunden. Wem das aber genau so gefällt darf sich über eine Lawine an Collectibles und vielfältige Schwierigskeitsgrade freuen. Man darf hoffen, dass die Gebrechen hinsichtlich Synchronität in Zukunft gepatched werden, doch die schaden dem Spielspaß nur wenig.
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