Die Pandemie hatte bisher viele Verschiebungen von heiß erwarteten Spielen zur Folge. Umso erfreulicher ist die Aussicht für uns Gamer auf das diesjährige Spielejahr 2023. Toptitel wie Starfield, Diablo 4, Stalker 2, Wo Long: Fallen Dynasty, Forza Motorsport, Spiderman 2 aber eben auch Atomic Heart, lassen mein Gamerherz höher schlagen. Seit der Ankündigung hat bei mir kein Spiel mehr Fragezeichen hinterlassen und mich mit so wenigen Pressemitteilungen versorgt, wie dieses hier. Atomic Heart ist nicht nur das Erstlingswerk des russischen Studios Mundfish, sondern auch gleich ein Triple A-Titel. Ob sich das lange Warten ausgezahlt hat, erfahrt ihr in unserem Review.
Der utopische Traum in Atomic Heart
Zu Beginn unseres Abenteuers sitzen wir in einem Boot und treiben einen künstlich angelegten Fluss entlang. Auf beiden Ufern können wir die Bewohner bei den alltäglichsten Situationen mit ihren Androiden beobachten. Ein Mann zum Beispiel hat Probleme mit seinen drei mechanischen Gehilfen, da sich diese andauernd nur eine Kiste weiterreichen. Eine ältere Dame hilft ihm und programmiert den Code erfolgreich um, so dass endlich jeder der Roboter eine Kiste trägt. Auf der anderen Seite des Flusses hebt ein kleiner ründlicherer Androide das Vorderteil eines Trabanten hoch, damit der Besitzer ungestört unterhalb des Gefährts herumerkeln kann. Als unsere Fahrt an einer Anlegestelle endet, steigen wir aus und gehen zu Fuß zu unserem nächsten Ziel. Unterwegs treffen wir auf einen Straßenverkäufer mit noch nicht veröffentlichten Gedankentransmittern, lauschen zwei Müttern bei ihren Gesprächen und fragen einer mechanischen Trafikantin nach den neuesten wissenschaftlichen Fortschritten. Das Geschehene wird passend von Alla Pugachevas „Starry Summer“ musikalisch untermalt.
Atomic Heart spielt im Jahre 1955 in einer geheimen UDSSR Militärbasis, genannt „Einrichtung 3826“. In dieser alternativen Realität endete der zweite Weltkrieg schon 1941 und die Roboter übernehmen immer mehr Aufgaben der Menschen. Das alles hat der Wissenschaftler Dmitry Setschenow mit seiner speziellen Substanz dem Polymer, ermöglicht. Dank dieser wissenschaftlichen Entdeckung können sich die Androiden im Kollektiv, einem digitalen Netzwerk, miteinander verbinden und kommunizieren. Der nächste Schritt seiner Vision ist die Veröffentlichung eines Gedankentransmitters, mit welchem die Menschen Zugang zu diesem Kollektiv bekommen und die Androiden mithilfe ihrer Gedanken steuern können. Wir selbst spielen den mysteriösen sowjetischen KBG-Spezialagenten Nechaev, der von KI-Charles (seinem linken Handschuh) begleitet wird. Kurz vor unserem Ziel, einem großen Hauptgebäude der fliegenden Stadt, dürfen wir noch eine große Parade beobachten, in welcher hunderte von Robotern im Gleichschritt an uns und der jubelnden Menge vorbeimarschieren. Die utopische Stimmung hat seinen Höhepunkt erreicht und ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Maschine ist bereits Realität geworden. Durch das entschleunigte Intro, können wir die Atmosphäre erst richtig erfassen und hervorragend genießen. Leider schlug das große Update des Kollektivs fehl und die angestrebte Utopie kippte schnell ins Chaos um. Die Androiden greifen die Menschen an und wir wurden mit der wichtigen Aufgabe betraut, das Netzwerk wiederherzustellen. Aus dem utopischen Traum wurde ein Massengrab und ein Alptraum. Eines sollten wir stets im Hinterkopf behalten. In Atomic Heart wird die Wahrheit stets mit Blut bezahlt und der utopische Traum ist nicht das, was er zu sein scheint.
Optisch ein Schmackofatz! Doch wie ist die Open World?
Atomic Heart sieht mit seinem alternativ dystopischem Sowjetunion Art-Design nicht nur richtig gut, sondern zudem sehr erfrischend aus. Sehr oft war ich mir bei den veröffentlichten Trailern nicht ganz sicher, ob das wirklich so und ohne Grafik-Downgrade erscheinen würde. Glücklicherweise ist die finale Version auf der Xbox Series X kaum vom gezeigten Material zu unterscheiden und läuft größtenteils butterweich. Gelegentliche FPS-Einbrüche bremsen den doch ziemlich guten Flow. Die etwas in die Jahre gekommene Unreal Engine 4 strotzt mit jeder Menge Details, wunderschönen Effekten, einladende Szenerien und schicken Charakteren.
Das World-Building ist bei jedem Videospiel wichtig und essenziell für den Erfolg bei uns Spielern. Wenn man sich das Gameplay von Atomic Heart anschaut, ist es eine Mischung aus den beiden bekannten Genrevertretern Bioshock und Fallout. Lineare Missionen wechseln sich mit Open World-Passagen ab und dazwischen gibt es immer wieder kleinere „Dungeons“, sofern wir das wollen. Die verteilten Dungeons werden auch Testgelände genannt und sind sichtbar auf der Karte verteilt. Wir müssen lediglich den Eingang finden und diesen irgendwie öffnen. Ist das geschafft, müssen wir kleinere Puzzle lösen und als Belohnung bekommen wir wichtige Upgrades für unsere Waffen. Uns stehen insgesamt drei Schwierigkeitsgrade zur Verfügung, wobei ich immer wieder zwischen der leichten und mittleren Stufe gewechselt bin. Da Atomic Heart ein schweres Spiel ist und man in regelmäßigen Abständen gegen gefährliche Bosse antreten muss, ist das wechseln des Schwierigkeitsgrade keine Schande.
Das Erstlingswerk des russischen Entwicklers Mundfish hat eine ungefähre Spieldauer von 20+ Stunden, sofern man sich nur auf die Kampagne konzentriert. Es dauert weitere 15+ Stunden um alle Nebenmissionen, damit meine ich die verteilten Testgelände/ Dungeons, zu erledigen. Der Sound kann sich ebenfalls hören lassen und muss sich nicht hinter anderen Produktionen verstecken. Selbst der Musiker Mick Gordon, verantwortlich für den genialen Doom Soundtrack (2016), hat seinen Beitrag geleistet. Durch die passende musikalische Begleitung fühlen sich die Kämpfe gut an und die Atmosphäre wird gut vermittelt. Das dystopische Abenteuer wurde in 9 Sprachen vertont und für 13 weitere wurden Untertitel angefertigt. Die deutschen Synchronsprecher haben eine gute Arbeit geleistet, doch wer die volle Immersion erleben möchte, sollte die russische Sprache mit deutschen Untertiteln aktivieren. Die Open World ist schön designt und bietet allerlei kleine Verstecke und Informationen. Die Frage die sich nun stellt ist folgende- ist die Open World unnötig? Da sich lineare- und Open World-Abschnitte regelmäßig miteinander abwechseln, sind die freiläufigen Areale eine willkommene Abwechslung zu den unterirdischen Einrichtungen. Eine Schnellreisefunktion gibt es nicht, was nicht stört, da wir die verfügbaren Trabanten benutzen können. Das einzige was ich mir gewünscht hätte, wären einige KI-Überlebende und Lebewesen auf die man treffen könnte.
Waffen, Fähigkeiten und ein versauter Automat
Die Entwickler haben in puncto Gegnerdesign ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Von kapselartigen Drohnen, humanoiden Androiden wie im Film „iRobot“, Erntemaschinen mit Sensen, oder kleinen Holzfällerrobotern mit Sägeblättern ist alles im Spiel vorhanden. Das Kampfsystem ist grundsolide und fühlt sich wie eine Mischung aus Bioshock und Fallout an. Nur das Trefferfeedback könnte sich für meinen Geschmack ein wenig wuchtiger und genauer anfühlen. Wie schon oben erwähnt, ist Atomic Heart ein anspruchsvolles Spiel. Damit wir den Maschinen Einhalt gebieten können, dürfen wir aus 13 unterschiedlichen Waffen wählen. Egal ob wir eine Schwäche für Pistolen, Kalaschnikows, Schrotflinte, Dampfhammer, Raketenwerfer, Energiekanonen oder Macheten / Äxte haben, da ist sicherlich für jeden eine passende Waffe dabei. Um mit den vielen Robotern fertig werden zu können, müssen wir die insgesamt 90 Fähigkeiten (aktive und passive) aus fünf Fertigkeitsbäumen, in unseren Kampfstil einbinden. Unser intelligenter linker Handschuh Charles führt nicht nur witzige Gespräche mit uns, sondern ermöglicht uns auch den Einsatz von folgenden Fähigkeiten:
– Massen-Telekinese: Gegner werden im Wirkungsbereich gepackt, in die Luft gehoben und eine Zeit lang gehalten.
– Polymerstrahl: Ziele werden mit einem Kampfpolymer beschossen, welches im Anschluss entzündet, elektrifiziert oder eingefroren werden kann.
– Kyro-Strahl: Feinde werden mit einem Kyro-Polymer beschossen und für eine bestimmte Zeit eingefroren.
– Polymerschild: Wir werden mit einem Neuro-Polymer-Schild umgeben und gegen Schaden geschützt.
– Schocker: Es wird eine elektromagnetische Entladung auf Ziele geschossen und dadurch elektrischer Schaden zugefügt. Zudem wird eine kurze Schockstarre ausgelöst.
Des Weiteren können wir Punkte in unseren Charakter investieren, um diesen mehr Lebenspunkte, Bewegungsgeschwindigkeit oder beispielsweise Wiederstandskraft zu spendieren. Das alles können wir bei einem weiblichen Automaten verwalten, die seltsamerweise auf Dirty Talk steht. Immer wieder kommt es zwischen Nechaev und ihr zu versauten aber witzigen Dialogen. Genauso lustige Dialoge gibt es ebenfalls bei neutral gesinnten Androiden, welche uns irgendwo den Zugang verwehren, weil wir zum Beispiel kein gültiges Zugticket haben. Damit wir uns die ganzen Herstellungen und Upgrades der Waffen leisten können, müssen wir Ressourcen looten. Dies geschieht mit einem einfachen Tastendruck und schon werden allerlei Materialien aus in der Nähe befindlichen Truhen, Kästen, toten Gegnern etc. eingesammelt. Durch diese Mechanik ersparen wir uns ein unnötiges und kompliziertes Micromanagement.